Als ich geboren wurde, betrieb mein Vater ein Herrenmodengeschäft in Budapest. Wir lebten in Pesterzsébet, einem Vorort von Budapest, wo auch 1936 mein jüngerer Bruder Tamás geboren wurde. Ich hatte eine glückliche Kindheit bis zu meinem 8. Lebensjahr. Dann begannen die Ausgrenzungen, ich durfte nicht mehr ins Schwimmbad, ins Kino, durfte keine Haustiere mehr haben. Bald darauf durfte ich auch nicht mehr in die Schule gehen.
1941 wurde mein Vater Diamant Karoly zum Ungarischen Arbeitsdienst „Munkaszolgálat“ einberufen. 1943 wurde er als vermisst gemeldet. Als am 19.März 1944 die Deutschen Ungarn besetzten, mussten wir ab dem 5.April den gelben Stern tragen. Meine Mutter Diamant Valeria fragte mich eines Tages ob ich nicht mit meiner Tante eine Reise in die Slowakei machen wollte. Sie und mein kleiner Bruder Tamás würden bald nachkommen. Meine Mutter drückte mich am Bahnhof so feste und weinte. Ich wusste gar nicht warum, denn sie und mein Bruder wollten doch bald nachkommen. Es war das letzte Mal, dass ich meine Mutter und meinen kleinen Bruder Tamás sah.
Meine Tante übergab mich in der Slowakei einer Frau, die mich weiter zu einem Rabbiner in der Stadt Nové Mesto Nad Váhom brachte. Nun war ich ganz allein. Nach ein paar Tagen brachte mich der Rabbiner zu einer Familie. Nach vier Monaten musste ich wieder zu einer anderen Familie. Eines Nachts klopfte es heftig an die Tür und ich hörte laute Männerstimmen die schrien: „Zusammenpacken-15 Minuten-Mitkommen“. Schnell zog ich mich an, packte einen kleinen Beutel und stand schon im Wohnzimmer, als ich bemerkte, dass meine Puppe Erika, das Einzige was ich noch hatte, im Bett geblieben ist. Ich wollte sie holen, aber ich durfte es nicht mehr. Aus einem Zwischenlager wurde ich nach zwei Wochen nach Auschwitz deportiert. Die Fahrt war furchtbar, kein Essen kein Trinken, fürchterlicher Gestank.
Nach ein paar Tagen stoppte der Zug, die Türen wurden aufgerissen, SS-Männer mit Hunden und Peitschen schrien uns an. Ich war in Auschwitz. Es war der 3. November 1944. Dann folgte für mich das Schlimmste, was bis dahin passierte. Meine Zöpfe wurden mir abgeschnitten, meine geliebten Zöpfe die mir meine Mutter jeden Morgen geflochten hat und ich wurde kahl geschoren. Wir bekamen gestreifte Hemden und Holzpantinen. Dann kamen wir in eine Holzbaracke und ich lag mit noch 6 Frauen in der mittleren Pritsche. Bei dem stundenlangen Appell Stehen morgens und abends im tiefen Schnee, erfroren mir meine Füße und Hände. Ich wurde immer schwächer. Als dann Anfang Januar alle die noch gehen konnten zum Todesmarsch aufbrechen mussten, ließ man mich zwischen den Toten und Halbtoten auf der Pritsche liegen. Irgendwann fütterte mich jemand mit Schnee. Dann fiel ich wieder einen Dämmerzustand. Als ich das nächste Mal das Bewusstsein wiedererlangte, beugte sich ein russischer Soldat mit einem roten Stern auf seiner Pelzmütze über mich und lächelte mich an. Es war der 27.Januar 1945. Ich verlor nie die Hoffnung, meine Mutter und meinen Bruder wiederzufinden.
Ich erlernte den Beruf der Schneiderin. In Budapest lernte ich dann meinen Mann Andor Szepesi kennen. Auch er überlebte die Shoa im Ungarischen Arbeitslager und dann in Russischer Gefangenschaft. 1951 heirateten wir und 1952 kam unsere erste Tochter Judith zur Welt. Mein Mann arbeitete für die Ungarische Handelsvertretung und wurde 1954 nach Frankfurt geschickt. Während der Ungarischen Revolution beantragten wir Asyl in Deutschland und blieben in Frankfurt. 1964 wurde dann unsere zweite Tochter Anita geboren. Über die Shoah sprachen wir nie. Der Schmerz war zu groß. Als wir 2016 mit meiner Familie zum March of the Living nach Auschwitz fuhren, fand meine zweite Enkeltochter Celina in dem Buch der Ermordeten den Namen meiner Mutter. Dann fand ich auch noch den Namen meines kleinen Bruders Tamás. Ich erfuhr das sie mit den letzten Deportationen von Ungarn nach Auschwitz kamen und sofort ermordet wurden. Seitdem kann ich um sie trauern.
Ich habe zwei wunderbare Töchter, vier Enkelkinder und drei Urenkelkinder. Die Schwere und die Traurigkeit wird immer mein ständiger Begleiter sein, aber die Liebe und Geborgenheit, welche ich durch meine liebe Familie erhalte, lässt mich im Leben glücklich sein. Ich werde weiterhin in Schulen gehen, um meine Geschichte zu erzählen, das ist jetzt meine Aufgabe. Ich spreche für die Menschen, die ermordet wurden und nicht mehr sprechen können. Damit so etwas nie mehr passiert.
Es ist für mich ein furchtbarer Gedanke das bei der Wannseekonferenz Adolf Eichmann mit unter den fünfzehn Tätern war. Er war für die Deportationen der Ungarischen Juden und somit auch für den Tod meiner Familie verantwortlich. Umso mehr ist es für mich eine Genugtuung mit meiner Enkeltochter Celina an diesem Projekt WIR! SIND! HIER! beteiligt zu sein. Wir leben.