Als ich 1929 in der Stadt Zilina in der heutigen Slowakei geboren wurde, lebten dort etwa 2.500 Juden. Meine Mutter Matilda (*1896) war Krankenschwester und mein Vater Karol (*1894) Schuhmacher. Er betrieb ein Schuhgeschäft für orthopädische Schuhe. Ich hatte drei ältere Brüder – Vojtech (*1921), Arpad (*1923) und Dezider (*1935) und meine Schwester Pepi (*1920) die bereits glücklich mit Max, dem Sohn eines bekannten jüdischen Rechtsanwalts verheiratet war. Ihre gemeinsame kleine Tochter Erika war ein Sonnenschein.
Die Verfolgung begann 1941. Die Slowakei kollaborierte mit Hitler- Deutschland. Ich erinnere, dass ich als Kind nun den Davidstern tragen musste. Meine Brüder und ich schnitten uns die Schläfenlocken ab. Vor den slowakischen Judengesetzen aus dem Jahr 1941 war in meiner Erinnerung aus der Kindheit das Verhältnis von uns Juden mit den Slowaken gut und ohne Probleme. Im Jahr 1942 im Alter von dreizehn Jahren wurde ich mit etwa 18.600 Juden in einem Sammellager konzentriert. Von dort begannen auch „Vernichtungstransporte“. Meine Brüder Vojtech und Arpad, Schwester Pepi mit ihrem Mann Max und der kleinen Erika wurden abgeholt. Mit der Zeit wurde uns Juden klar, dass diese Deportationen in den Tod führten. Man sprach von Auschwitz.
Ende Dezember 1944 wurde ich mit meinem Bruder Dezider ineinen Waggon und unsere Mutter in einen anderen getrieben. Die Angst und das brutale Verladen von Menschen in Viehwaggons verschlug mir die Sprache. Und in all diesem Chaos hörte ich das Schreien meiner Mutter. Sie schrie so laut sie konnte die Worte: „Haltet durch! Seid stark! Wir werden uns noch sehen!“ Diese Worte habe ich nie vergessen. Sie haben mir die Kraft gegeben, all das durchzustehen, was mir in den folgenden Monaten angetan wurde.
Mit meinem Bruder Dezider wurde ich in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Ich war fünfzehn Jahre alt, als ich unter Schlägen und Gebrüll vom Bahnhof Oranienburg durch das Tor des Konzentrationslagers Sachsenhausen getrieben wurde. „Arbeit macht frei“ stand auf dem Tor. Wir mussten erstmal „Appell-Stehen“. Als ich nach links schaute, sah ich zehn Erhängte an Galgen. „Wenn ihr nicht gut seid, geht es euch wie denen da!“ lautete die Botschaft.
Ab Januar 1945 gehörte ich dem Schuhläufer-Kommando an. Mein Kommando hat täglich 170 Paar Schuhe rund 6.800 Kilometer im Rahmen von „wissenschaftlichen“ Testreihen bewegt, um für die SS und ihre Auftraggeber aus der Schuhindustrie die besten Materialien, Passformen und so weiter zu erproben. Nicht alle Männer, die morgens den Marsch begannen, waren abends noch am Leben.
Ende März 1945 wurde ich in einem Transport tausender Gefangener in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert, wo ich den eigenen Tod schon vor Augen hatte . Später folgte noch ein Transport in das KZ Dachau, bevor ich Anfang Mai 1945 von Einheiten der US-Army befreit wurde. Wenige Wochen nach der Befreiung fand ich meine Mutter in Prag und kurz darauf meinen Vater in Zilina. Mein Bruder Dezider überlebte auch. Alle anderen Verwandte habe ich nie wiedergesehen.
Die Wannseekonferenz, in der gebildete Männer in einer luxuriösen Villa über die Ermordung auch meiner Familie sprachen, war eine Welt fernab des Grauens, dass ich in den Lagern sah. Damit wollte ich mich nie befassen.